Kapitel 22 - Neuer Job


Experiment - Ich weiß noch nicht genau, wie es nachher aussehen wird, aber mir steht der Kopf nach einer Science-Fiction-Erzählung in Form von Nachrichten, Tagebucheinträgen und Briefen in virtueller und analoger Form. Die Handlung soll sich über viele Jahrhunderte erstrecken und ein Exoplanet steht im Mittelpunkt. Und somit habe ich einfach angefangen und mache fleißig weiter... 


Gelegentlicher Tagebucheintrag von Wulf Marquard in Form eines imaginären Briefes an Derya Akgünoglu, Donnerstag, 15. Mai 2014

Hallo Derya, 

wie immer, wenn ich Frühschicht habe, bin ich natürlich in den Abendstunden ziemlich müde. So ist es auch heute der Fall. Ich sitze im Wohnzimmer, schreibe in meine Kladde und im Fernsehen läuft nebenbei der Nachrichtensender. Dieses um 05:00 Uhr-Aufstehen macht mich ziemlich fertig und nächste Woche, wenn der Mensch sich dann an diesen unchristlichen Rhythmus gewöhnt hat, ist auch schon wieder Schluss damit und ich kann im Rahmen der späten Spätschicht bis 23:00 Uhr arbeiten. Früher, als ich im Call Center auf dem Berge angefangen habe, hat mir das nichts ausgemacht. Aber jetzt, nach all den Jahren, schafft mich das stetig mehr.

Aber mit dem Schichtdienst ist es jetzt aus und vorbei. Juhu! Es gibt einen Grund zum Feiern. Am Montag war ich in der Firma KeTech vor den Toren der Stadt. Zunächst einmal möchte ich Dir den Namen KeTech erklären. KeTech steht für Kempkes Technologie und Kempkes wiederum ist der Familienname der Eheleute Johannes und Tülay, welche zusammen das Unternehmen führen. Die Firma an sich ist schon ein anständiges mittelständisches Unternehmen mit aktuell neunundsechzig Mitarbeitern. Der Stil des Gebäudes kann man wohl ökonomisch funktional nennen, ein heller Bau mit zwei Stockwerken und großen Fenstern. Auf dem Dach und überall auf dem Grundstück befinden sich Sonnenkollektoren. Sogar ein Windrad findet sich da. Die Firma, so erklärte mir Johannes, sei bei der benötigten Energie vollkommen autark. Über den hohen Zaun, welcher die Firma umgibt, und die recht straffe Kontrolle meiner Person an der Pforte, sagte Jojo, dass er sowas auch nicht möge, aber leider sei in der Branche der High End-Technologie Vorsicht oberstes Gebot. Die Welt wäre nun mal von vielen verkommenen Subjekten bevölkert, die versuchten, ohne große Arbeit an die große Arbeit anderer Menschen zu gelangen. Beim Gang durch die lichten Gänge, Labore, Entwicklungsbüros und die Fertigungsstätten sprach Jojo natürlich davon, was die Firma produziert und entwickelt. Neben Software für Unternehmen werden hier in ersten Linie Endgeräte für den Internetempfang von Firmen produziert sowie sehr spezielle Computer gefertigt, welche zum Beispiel in Drehmaschinen zum Einsatz kommen. Auch, so erklärte mir Jojo stolz, forsche man im Bereich Robotik, KI und an den Rechnern von morgen. Dann übergab er mich im ersten Stock an seine Gattin und Tülay führte mich durch den kaufmännischen Bereich von KeTec. Hier arbeiten aktuell gerade mal zehn Leute. Bei einem Glas türkischen Schwarztees erzählte mir Tülay von meinen zukünftigen Aufgaben. Es wird für mich bedeutend vielfältiger zur Sache gehen wie in meinem jetzigen Job. Mein neues Spektrum erstreckt sich von Terminvereinbarungen für den Außendienst, während denen die Entwickler potentiellen Kunden die Produkte von KeTec vorstellen, über Zufriedenheitheitsbefragungen, Beschwerdemanagement, bis hin zur Angebotserstellung und dem Mahnwesen. Und das Schöne an der Sache ist, dass ich nur noch mit Geschäftskunden zu tun haben werde. Im Geschäftskundenbereich zu arbeiten, ist in der Regel wesentlich angenehmer, als mit Privatkunden zu kommunizieren. Wir entschlossen uns, dass ich zum 01. Juni, beziehungsweise zum 02. Juni, da der Erste auf einen Sonntag fällt, meine neue Stelle antrete, sofern mich mein derzeitiger Arbeitgeber vorzeitig aus dem Vertrag lassen würde. Nachdem Tülays Gatte wieder zu uns gestoßen war, schwatzten wir noch ein bisschen über Musik und Literatur, wobei sich herausstellte, dass Jojo, was ja irgendwie zu erwarten gewesen war, ein großer Science-Fiction-Fan ist. Ach ja, ich werde übrigens ein eigenes Büro bekommen. Ist das nicht genial! Nach all den Jahren im Krach eines Call Center-Großraumbüros werde ich alsbald mein eigenes berufliches Reich haben. Endlich geleiteten mich die Eheleute Kempkes gemeinsam vom kaufmännischen Bereich hinab in das lichte Foyer voller heller Farben, hellen Sesseln und Sofas sowie zahlreicher Großbildschirme, über welche an jenem Tage die Gesichter und Logos zufriedener Kunden dahinzogen.

Heute erhielt ich von meinem noch Arbeitgeber, beziehungsweise aus dessen Zentrale in Düsseldorf das Okay, dass das Arbeitsverhältnis zum 01. Juni beendet wird. Nun bin ich wahrhaft glücklich darüber, dass ein richtiger Schritt nach vorne in meinem Berufsleben ansteht. Denn das ist die neue Tätigkeit im Vergleich zum Call Center allemal. Tülay hat mir den Arbeitsvertrag bereits am Montag unterschrieben und mitgegeben. Ich habe ihn nun meinerseits unterzeichnet und bringe ihn morgen bei KeTec vorbei. Dennoch werde ich mich jetzt für die letzten zwei Wochen nicht krankschreiben lassen und mir Urlaub auf gelben Schein holen, wie dieses so manch anderer Angestellter machen täte. Dafür bin ich auch über all die Jahre zu gut mit Kollegen und Vorgesetzten klargekommen. 

Ansonsten denke ich neben dem neuen Start innerhalb meines Berufslebens heute sehr viel an Dich. Genauer an unsere gemeinsame Zeit auf dem Gymnasium in der alten Heimat, wo wir zwei ja nun bereits seit vielen Jahren nicht mehr zuhause sind. Es hat uns in ganz unterschiedliche Regionen des Landes verschlagen, aber nur Du hast Dein Studium beendet und den Traumberuf wahrwerden lassen. Weißt Du noch, wie Du mich in der Aula, als sich die Kandidaten für die Wahl des Schulsprechers vorgestellt haben, so wunderschön angelächelt hast? Das werde ich nie vergessen. Immer wieder haben wir uns einander während dieser tödlich langweiligen Veranstaltung angeschaut und als Du endlich gelächelt hast, habe ich erst geglaubt, dass das nicht wahr sein kann, denn schließlich bist Du zwei Jahrgänge über mir gewesen. Eine junge Frau aus der Oberstufe tut so etwas nicht bei einem Neuntklässler. So lauteten damals jedenfalls meine Denkweisen und Überzeugungen, dass es im Leben Anfang der 1990er-Jahre eben derartig lief. Aber gelächelt, ja das hast Du, liebe Derya, getan. 

Okay, es ist bereits nach Zehn und morgen geht der Wecker wieder um fünf Uhr. Ich werde jetzt ins Bett gehen und schlafen, sonst irre ich morgen als Zombie durch das Call Center. Bin ich froh, dass dieser Schichtscheiß bald sein Ende finden wird! Darauf werde ich mir am kommenden Freitag zwei, drei Bierchen gönnen. Du kannst jedoch unbesorgt sein; so schlimm wie mit Vladi vor einer Woche wird es ganz bestimmt nicht enden. 

Ich wünsche Dir nun eine gute Nacht und süße Träume. Schlaf schön, wenn es soweit ist bei Dir. Ich denke ganz fest an Dich! 

Liebe Grüße 

Wulf