ultrakurz; Die Botschaft




Nachdem DuDo, so etwa nannten sie den Quantenbordcomputer, die Höchstgeschwindigkeit von fünfundzwanzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit auf Standardschleich reduziert hatte, weckte er die Besatzung der SeDa. Das Sternenschiff mit diesem Namen  war zu jener Zeit das Objekt der KyOs, welches mit großem Abstand am weitesten in den interstellaren Raum vorgedrungen war. Im Moment des Weckrufes kreuzte die SeDa bereits seit etwa, wenn wir es in irdische Maßstäbe übertragen, 78.000 Jahren durch die Galaxie.

An dieser Stelle seien zunächst ein paar Angaben zur Spezies der KyOs gemacht. Aussehen taten sie uns Menschen ähnlich. Sie gingen aufrecht, besaßen sowohl zwei Arme als auch zwei Beine. Auf jeder Seite zählten Finger und Zehen fünf. Ihre Haut war dafür gegensätzlich grau, der Kopf eckiger und diverse Augenfarben kannten sie nicht. Ihrer aller Iris schimmerte gleich im leuchtenden Braun einer gesunden Haselnuss. Ihre technische Entwicklung war jener des Menschen um unermessliche Längen voraus. In der Dyson-Sphäre nutzten sie durch den Schwarm die Energie ihres Sternes. In ihrer Welt gab es längst keine Nationalstaaten und unterschiedliche Religionen mehr, so dass es in Zusammenspiel mit dem unbegrenzten Energiezugang zu keinerlei bewaffneten Konflikten untereinander kam. Seit Äonen hatten weder Krieg noch Seuchen ihren Planeten heimgesucht.

Es lohnt sich an dieser Stelle, die Religion der KyOs genauer unter die Lupe zu nehmen, obgleich es sich strenggenommen um keine Religion im Sinne des Wortes handelte. Sie waren überzeugt, dass wahrer technischer Fortschritt der Schlüssel zur Erlösung der Art sei. Und dieser Fortschritt könne ausschließlich durch das perfekte Zusammenwirken aller KyOs gewährleistet werden. Diese Doktrin war ihnen allen, jedem einzelnen, heilig. Technischer Fortschritt und friedliches Miteinander bildeten für sie eine untrennbare Einheit. Es war ein felsenfester Bestandteil ihres kollektiven Bewusstseins. Das höchste Gremium in dieser Angelegenheit war zu dem Schluss gekommen, dass diese Einheit aus technischem Fortschritt und Kollektivismus für die Erlösung aller intelligenten Wesen gelten müsse. Zudem sei es die Pflicht eines jeden KyOs, die frohe Botschaft hinaus in die Weiten zu bringen. Nur deswegen war die SeDa vor langer Zeit - jedenfalls wenn man sich nach der Zeitempfindung auf dem Heimatplaneten richtete - aufgebrochen. Allesamt, die sich jetzt nach dem langen Winterschlaf schwerfällig erhoben, waren sie Pioniere mit dem gar heiligen Auftrag, den Weg zu einer perfekten Gemeinschaft und die Grundlagen der tatsächlichen Hochtechnologie zu vermitteln.


Es dauerte eine ganze Weile, bis die Besatzung die Nachwehen des Kälteschlafes abgeschüttelt hatte und sich wieder im Normalzustand befand. Doch schließlich nahm ToMa, die Kommandantin der Mission, per Telepathie Kontakt zu Quantenbordcomputer DuDo auf, um zu erfahren, warum er sie so gar plötzlich geweckt hatte. An dieser Stelle, liebe Leserinnen und Leser, sei gesagt, dass DuDo als ein vollständiges Mitglied der Crew angesehen wurde. Er war nicht bloß eine kalte, von KyOs entwickelte und programmierte Maschine. Nein, DuDo besaß sogar ein eigenes Bewusstsein und galt als pragmatisch in seinem Tun und empathisch im Umgang mit Lebewesen aus Kohlenstoff und Wasser.

Hallo, ToMa! Ich hoffe, es ist euch allen wohlergangen während des langen Schlafes. Warum ich euch wecke, hat folgenden Grund; wir befinden uns hier am Rande eines Sonnensystems mit einem Stern im Zentrum. Der dritte Planet vom Zentrumsstern aus gesehen ist bewohnt und es handelt sich dabei um intelligentes Leben nach der Definition des Heiligen Missionsrates. Ich habe eine Botschaft in Form von Funkwellen aufgeschnappt. Es ist keine gezielte Botschaft, die sich an uns oder irgendwen von jenseits ihres Planeten richtet. Ich vermute, dass es sich hierbei um eine interne Art der Unterhaltung handelt, welche auf eine primitive technische Weise auf diesem Planeten verbreitet wird, so dass eine große Menge dieses Programm empfangen kann. Ich habe die Sprache dieser Spezies dort auf dem dritten Planeten bereits entschlüsselt und möchte euch nun gerne die empfangene Botschaft präsentieren. Seid ihr bereit? 

Natürlich war die Crew bereit, so dass der Quantenbordcomputer rasch seines Amtes waltete. In den Köpfen der im Aufenthaltsraum des Sternenschiffes versammelten KyOs breiteten sich bewegte Bilder, Klänge, Dialoge, Geräusche und Gesang aus. Exemplare der fremden Gattung dort draußen auf dem unbekannten Planeten und ihre Taten wurden sichtbar. Die Übersetzung dessen, was sie hier kommunizierten, zog in Laufschrift passend vorüber. 

Und die Qual nahm ihren Anfang. Die hochgebildeten KyOs konnten das Empfangene nicht ertragen, welches gleich brennendem Gift durch ihren Geist zog. Ob Mann oder Frau, ob alt oder jung, sie alle schrien durcheinander, hielten sich mit grauen Händen die eckigen Köpfe, verspürten einen großen, den gesamten Körper umfassenden Schmerz. Der I. Offizier stürzte gar vom silbernen Sofa, um sich in der Pein über das kühle Metall des Bodens zu kugeln.

"Stooooooooppp! Schluss damit!", schrie ToMa nach etwa zwei Minuten Vorführung, worauf DuDo umgehend die telepatische Sendung einstellte. Die Erleichterung war im wahrsten Sinne des Wortes hörbar. Schwer atmete die Besatzung durch. Wohl für jede Spezies, egal wo sie auch herstammen mag, gilt der einfache Satz: Es ist schön, wenn der Schmerz nachlässt.

"Wir reisen weiter! Eine Zivilisation, die mit einer solchen Art von Unterhaltung vorlieb nimmt, kann nichts Gutes im Schilde führen. Wenn eine Spezies sich an einer solchen Folter ergötzt, wie mag sie dann sich untereinander verhalten? Es muss dies eine Welt des Schreckens sein, deren Bewohner die Heilige Botschaft der Unsrigen nicht wert sind", sprach ToMa leise, aber entschlossen.

Und die SeDa setzte ihre Reise fort und entfernte sich rasch von jenem Sonnensystem, aus dem die Botschaft stammte. Fort trug das Schiff auch das Wissen, welches wahrhaftig die Erlösung für alles intelligente Leben des Multiversums bedeutete. 

Tatsächlich handelte es sich bei dem, was sie Botschaft nannten, um das samstägliche Abendprogramm des Zweiten Deutschen Fernsehens, welches im späten November des Jahres 1985 ausgestrahlt worden war. Was die KyOs davon zufällig aufgeschnappt hatten, waren Fragmente der recht neuen Serie Die Schwarzwaldklinik sowie ein Auftritt der Band Modern Talking, die ihren aktuellen Song Cheri Cheri Lady im Rahmen einer großen Unterhaltungsshow präsentierten.